Hättest du gedacht, dass eine Ducati GP19 Desmosedici MotoGP so viel Wert ist, wie 89 brandneue Ducati Diavel 1260?
Unfassbare 2 Millionen $ – auch wenn man die MotoGP-Prototypen nicht kaufen kann – auf der einen und „schlappe“ 20.000,00 € auf der anderen Seite.
Das musst du dir mal auf der Zunge zergehen lassen.
Und ganz ehrlich, ich persönlich wäre schon mit einer Diavel in der Garage superglücklich. Schlappe 20.000,00 € für sein Hobby auf 2 Rädern schüttelt schließlich nicht jeder aus dem Ärmel.
Schauen wir uns die Unterschiede zwischen dem MotoGP-Boliden von Ducati, der zugegebenermaßen aktuell die Creme de la Creme in der Königsklasse darstellt, und der Diavel einmal genauer an.
An dieser Stelle ein Hinweis:
Die Ducati Diavel steht hier exemplarisch für jedes andere hochwertige Straßenmotorrad. Ich hätte auch ein Bike von MV Agusta, Aprilia und Co … auswählen können.
Unterschied 1: die Bedienung
Die Bedienung des Gangwahlhebels einer MotoGP-Rennmaschine ist für uns Otto-Normal-Biker gewöhnungsbedürftig.
Wenn du und ich die Chance hätten, mit einer echten MotoGP-Maschine einmal eine Runde über den Sachsenring zu fahren, dann sollten wir das am besten dann tun, wenn keiner unserer Biker-Kumpels Augenzeuge ist.
Weil wir deren Gespött wahrscheinlich auf immer und ewig ausgesetzt wären 😉.
Denn im besten Falle würden wir das sündhaft teure Geschoss erstmal ganz furchtbar abwürgen. Wobei das noch das kleinste Übel wäre.
Das andere Szenario wäre weitaus schlimmer. Und noch peinlicher: Wir legen uns direkt mitsamt der Rennmaschine auf die Nase. Ohne auch nur einen Meter vom Fleck gekommen zu sein.
Viele Grüße an die handgefertigte und federleichte Carbon-Verkleidung. Die alleine kostet schon so viel, wie ein normales Straßenmotorrad.
Aber auf was will ich hinaus?
Auf Rennmaschinen erfolgt die Bedienung des Gangwahlhebels nicht in der uns vertrauten Reihenfolge erster Gang runter, die restlichen Gänge rauf, sondern umgekehrt mittels Umkehrschaltung. Erster Gang rauf, die restlichen Gänge runter.
Wer das nicht weiß, kann sich auf einem MotoGP-Bike gegebenenfalls so richtig zum Deppen machen…
Hier siehst du, wie Ducati-Fahrer Danilo Petrucci seine Desmosedici GP über die Rennstrecke in Jerez bewegt:
Eine Runde Jerez aus Sicht des Schalthebels.
Das umgekehrte Schaltschema ist zwar gewöhnungsbedürftig, hat aber den Vorteil, dass die Fahrer in extremen Links-Schräglagen bequem von oben runter schalten können. Auch ist der Kraftaufwand beim Tippen nach unten geringer.
Bei mehreren Hundert Schaltvorgängen ist das ein nicht zu unterschätzender Vorteil.
Außerdem bekämen die Fahrer mit dem normalen Schaltschema beim Beschleunigen und Hochschalten in Links-Schräglagen ihre Stiefel unter Umständen nicht mehr unter den Schalthebel. Wertvolle Sekunden gingen verloren.
Unterschied 2: der Motor
Auf den ersten Blick gibt’s hier nichts, was die Mehrleistung der MotoGP-Bikes im Vergleich zu Serienmotorrädern erklären könnte. Zumal auch Turbolader in der Königsklasse nicht erlaubt sind.
1000 cm³ Hubraum und 4 Zylinder, beides Maximalwerte in der MotoGP, sind auch bei großen Straßen-Bikes nichts Ungewöhnliches. Im Gegenteil.
Du kennst bestimmt genügend Maschinen, die hier noch mehr zu bieten haben!?
Doch während die Ducati Diavel 1260 mit vergleichsweise bescheidenen 159 PS auskommen muss 😉, bringen die MotoGP-Rennmaschinen rund 280 PS und mehr auf die Piste.
Okay, der Vergleich hinkt etwas, da der Diavel auch nur 2 Zylinder zur Verfügung stehen.
Den beiden Ducatis sagt man übrigens nach, dass sie sogar knapp 300 PS haben. Offiziell bestätigt ist das jedoch nicht.
Sei es, wie es sei. Es stellt sich die Frage, woher die MotoGP-Boliden ihre enorme Power beziehen?
Nun, da in der MotoGP Abgaswerte und Lautstärke keiner Kontrolle unterliegen, sind bei den Rennmaschinen weder Katalysator noch Schalldämpfer verbaut. Und beide entziehen dem Motor wertvolle Leistung.
Hinzu kommt, dass anstelle der in herkömmlichen Maschinen verbauten Metallschraubfedern in der MotoGP auf eine pneumatische Ventilsteuerung gesetzt wird.
Und die arbeitet wesentlich schneller und auch zuverlässiger und ermöglicht nutzbare Drehzahlen von über 16.000 U/min.
Wahrscheinlich gibt es noch weitere Gründe. Wenn du einen kennst, freu ich mich auf deinen Kommentar. Danke!
Unterschied 3: das Getriebe
Auch hier findet sich auf den ersten Blick keine Erklärung – 6 Gänge, hier wie dort.
Jedoch setzen die MotoGP-Motorräder auf die sogenannten Seamless-Getriebe, also „nahtlose Getriebe“.
Und die machen den Unterschied.
Seamless-Getriebe lassen sich praktisch ohne Zugkraftunterbrechung und ohne Kupplungseinsatz schalten. Und das blitzschnell.
Wenn du dir jetzt vor Augen hältst, dass pro Rennen ca. 500 bis 800 Schaltvorgänge anfallen, wird klar, dass ein Serienmotorrad einem MotoGP-Werksrenner allein schon hier hoffnungslos unterlegen ist.
Unterschied 4: das Gewicht
Da geht’s den Motorrädern wie den Menschen 😉: Je leichter, desto schneller und agiler sind sie unterwegs…
Während eine Ducati Diavel ganze 218 kg auf die Waage bringt, hält sich die Ducati GP19 Desmosedici MotoGP mit mageren 157 Kilogramm exakt an das laut MotoGP-Reglement vorgegebene Mindestgewicht.
Interessant ist in dem Zusammenhang, dass zu Beginn der Viertaktära vor 15 Jahren die 990er-Maschinen schmale 145 Kilogramm auf die Waage brachten. Davon sind wir heute meilenweit entfernt.
Stellt sich die Frage, warum die heutigen Boliden im Vergleich zu den ersten MotoGP-Bikes so schwer sind? Und das trotz Titan, Carbon & Co. – Fortschritt sieht anders aus.
Die Erklärung liefert Ducati-Corse-Chef Luigi Dall’Igna: „Heutzutage sind die Kosten ein großes Problem. Wenn man das Mindestgewicht der Maschinen absenkt, muss man mehr Geld investieren, da man exotischere Materialien verwenden oder die Teile komplizierter herstellen muss.“
„Es wäre vielleicht eine Idee für die Zukunft, doch ich sehe darin keine Vorteile, was die Performance angeht. Ich bevorzuge es, wenn die Regeln für einen langen Zeitraum konstant bleiben. Deswegen würde ich diese Regel nicht ändern“, so Dall’Igna.
Unterschied 5: die Bremsen
Während bei Straßenmaschinen an beiden Rädern Bremsscheiben aus Metall Standard sind, werden in der MotoGP auf dem Vorderrad vorzugsweise Carbon-Keramik-Bremsscheiben eingesetzt.
Diese sind einerseits leichter, vertragen andererseits aber auch höhere Temperaturen: 800° statt 600° Celsius ohne Fading.
Ein MotoGP-Fahrer zieht im Rennverlauf durchschnittlich bis zu 30 % der Zeit am Bremshebel!
Nur bei Regenrennen kommen vorne und hinten Bremsscheiben aus Stahl zum Einsatz, da die Carbon-Scheiben nicht auf die benötigte Arbeitstemperatur kämen.
ABS-Systeme, bei vielen Serienmaschinen mittlerweile Standard, sucht man in der MotoGP übrigens vergebens.
Unterschied 6: Reifen und Felgen
Eines vorab:
Während du dir deine Reifen nach deinem Geschmack aussuchen und nach Lust und Laune wechseln darfst, ist das in der MotoGP streng geregelt.
Hier gibt es seit einigen Jahren mit Michelin einen Einheitshersteller, der die Teams mit Reifen bestimmter Gummimischungen ausstattet. Pro Rennwochenende und Fahrer steht nur eine bestimmte Anzahl von Trocken- und Regenreifen zur Verfügung.
Braucht ein Fahrer beispielsweise sein Kontingent an Trockenreifen (22 pro Rennwochenende) frühzeitig auf, ist für den Rest des Wochenendes zu Fuß gehen angesagt 😉.
Bei trockener Rennstrecke werden (nicht nur) in der MotoGP Slicks, also Reifen ohne Profil, gefahren.
Wärest du auf deinem Straßenmotorrad mit Slicks unterwegs, würde man dich sofort aus dem Verkehr ziehen, da profillose Reifen bei Nässe unfahrbar sind.
Daher kommen bei Regen auch in der MotoGP Regenreifen zum Einsatz. Diese verfügen neben einem Profil auch über eine weichere Gummimischung, die mehr Grip hat, also besser haftet.
Grundsätzlich gilt: Je weicher ein Reifen ist, desto mehr Grip hat er, und je härter er ist, desto länger hält er.
Seit 2016 müssen in der MotoGP-Klasse Felgen mit einem Durchmesser von 17 Zoll eingesetzt verwendet werden. Diese bestehen aus einer ultraleichten (und wahrscheinlich sündhaft teuren) Magnesiumlegierung aus der Raumfahrt: „Preis auf Anfrage“ – das sagt alles.
Unterschied 7: Fahrwerk und Chassis
1.5 g Bremsbeschleunigung und Schräglagen von über 60 Grad – für Otto-Normal-Biker – kaum vorstellbar, bedeuten Schwerstarbeit für das gesamte MotoGP-Bike, insbesondere jedoch für Fahrwerk und Chassis.
Kein Wunder also, dass die Vorderradaufhängungen in der MotoGP stärker als gewöhnlich ausfallen – 48 mm Durchmesser weisen die upside-down-Gabeln auf.
Eine elektronische Dämpfungssteuerung, die für die MotoGP ohnehin ungeeignet, weil zu langsam wäre, ist in der Königsklasse laut Reglement nicht zulässig.
Rahmen und Hinterachsschwinge unterscheiden sich in der Bauweise nicht wesentlich von Straßenmaschinen, bei einer MotoGP-Maschine Bike stehen zur Einstellung der Fahrwerksgeometrie jedoch wesentlich mehr Möglichkeiten zur Verfügung.
Unterschied 8: Karosserie und Verkleidung
Als einzige Ausnahme setzt Yamaha bei seiner 200 PS starken und knapp 24.000,00 € teuren YZF-R1M bei der Verkleidung auf federleichte Kohlefaser.
Ansonsten bleiben Verkleidungen aus Carbon nur high-endigen Rennmotorrädern vorbehalten.
Und im Gegensatz zu straßenzugelassenen Serienmotorrädern werden hier auf „lästige“ Bauteile, wie Abgasanlage, Startermotor, Licht, eine große Batterie oder ein Soziussitz etc. verzichtet – ein klarer Vorteil in puncto Gewicht und Aerodynamik für die MotoGP-Boliden.
Unterschied 9: Sensoren
Dass bei solch hochgezüchteten Maschinen natürlich auch jeder „Pups“ gemessen wird, liegt auf der Hand.
Schließlich geht es neben Renommee und viel Geld auch darum, möglichst viele verwertbare Erkenntnisse zu erlangen, die Team und Fahrer weiterbringen.
So finden sich an einem MotoGP-Motorrad um die 50 Sensoren, die Reifendruck, diverse Motorparameter, Chassis-Balance, Traktions- und Wheelie-Kontrolle, Schräglage und Position bis hin zu Drehgeschwindigkeiten von Vorder- und Hinterrad erfassen – weit umfangreicher und präziser als bei Serienmotorrädern.
Bildquellen
- Ducati MotoGP vs. Straßenbike: ducati.com
- Die Unterschiede zwischen MotoGP-Bikes und Straßenmaschinen: pixabay.com
- MotoGP-Bremse vs. Bremse eines Straßenmotorrads: brembo.com
- Ducati Diavel vs. MotoGP: unsplash.com