Eine namhafte Motorradmarke, jahrzehntelange italienische Tradition, der Einstieg in den Rennsport, finanzielle Krisen, eine unumgängliche Neuausrichtung der Marke: MV Agusta steht für all das. Aber darüber hinaus auch noch für vieles mehr: Prestige, Kraft und vor allem Ruhm.
Für jeden, der bereit ist, sein bereits vorhandenes Hintergrundwissen über MV Agusta aufzufrischen, zu erweitern oder gänzlich Neues dazuzulernen – Lehn dich zurück, denn wir reisen in das Jahr 1879.
MV Agusta: Es war einmal …
… ein Graf, der den Namen Giovanni Agusta trug. Geboren in der oberitalienischen Universitätsstadt Parma, gründete er 1920 die ‘Construzione Aeronautiche Giovanni Agusta’. Moment, Flugzeuge? Tatsächlich befasste sich die Gründung dieser Aktiengesellschaft mit der Herstellung und Wartung der mechanischen Luftraumvögel. Auslöser für den späteren Umstieg auf die Motorradproduktion gab es mehrere. Der Graf starb überraschend und sein ältester Sohn Domenico übernahm das Unternehmen. Der Markt für Flugzeuge in Italien gelangte zu dieser Zeit an einen neuen Tiefpunkt. Die steigende Nachfrage nach Vehikeln für den motorisierten Verkehr auf den italienischen Straßen verhalf ihm schließlich zur Entscheidung, preisgünstige Leichtmotorräder zu produzieren. 1945 gründete er als eigene Tochtergesellschaft die Firma ‘Meccanica Verghera Agusta’ – kurz MV Agusta.
Startschuss für die Motorrad-Produktion
Nur ein Jahr später wurde als erstes Motorrad ein 98-ccm-Zweitakter mit Zweiganggetriebe der Öffentlichkeit präsentiert. Als Legende bezeichnen konnte man dies kaum, aber es war genau das, wofür am Markt Nachfrage herrschte. Der eigentliche Modellname ‘Vespa 98’ war zu diesem Zeitpunkt markenrechtlich bereits belegt, weswegen das Motorrad schlicht und einfach mit dem Namen ‘98’ betitelt wurde. Das erste fertige Produkt kam so gut an, dass Domenico noch im selben Jahr mit der Auslieferung des ersten Leichtmotorrades begann. Die Produktionsstätte in der italienischen Gemeinde Gallarate lief auf Hochtouren. MV-Motorräder strömten in stetig wachsender Zahl aus den Hallen.
Einstieg in den Rennsport
Zu den beliebtesten Modellen gehörte in dieser Zeit die sportliche ‘125 Motore Lungo’, so genannt wegen ihres verlängerten Motorgehäuses. Die Straßenversion mit Lichtern und die Sportversion mit dem Namen ‘competizione’ waren auch der erste große Verkaufserfolg. Die Maschine sprach aufgrund ihrer Wettbewerbsfähigkeit und niedrigen Preises besonders denjenigen an, die ihre Karriere als Fahrer begannen. Mit der Entwicklung von besonderen Werksrennern und der Teilnahme an Motorradrennen konnte Domenico bis in die 70er Jahre gut 275 GP-Siege und 38 Weltmeisterschaften für MV Agusta verzeichnen.
Legendäre Straßenbikes von MV Agusta
Domenico wollte seine Motorräder nicht nur auf internationalen Rennstrecken zu Ikonen machen. So präsentierte er in den 60er Jahren das erste Straßen-Serienmotorrad. Die ‘MV Agusta 600’ besaß einen quer zur Fahrtrichtung eingebauten Vierzylinder-Motor und Scheibenbremsen, die von einem Seilzug betätigt wurden. Kritiker bezeichneten die als Rennbike angekündigte 600er jedoch als langweilig. Domenico holte wenig später mit der Präsentation der ‘750 Sport’ auf der Zweirad-Ausstellung in Mailand ein Ass aus seinem Ärmel. Das ‘Wunder’ von 1969 ließ die bösen Zungen verstummen. Mit bereits klassischen Trommelbremsen und vier einzelnen Auspufftüten galt die ‘750 S’ als Nachfolger der legendären Vierzylinder-GP-Werksrenner. Schon das Styling der ‘750 S’ genügte, um sämtliche Herzen von Motorradfans höher schlagen zu lassen.
Notfallpläne und Krisen
Die Produktion von straßentauglichen Ablegern seiner Werksrenner, schlechte Verkaufszahlen und Domenicos Leidenschaft für die Motorrad-Rennen trieb das Imperium in den Untergang. Zwei US-Amerikaner mit Namen Garville und Cothermann initiierten jedoch die Produktion der ‘750 S America’. Als Neuauflage der ‘750 S’ sollte sie stärker an die Rennmaschinen angelehnt werden und die Verkaufszahlen in den USA anheben, um die finanzielle Krise abzuwehren. 1971 starb Domenico und sein Bruder Corrado übernahm MV Agusta. Weil die ‘America’ sich wiederum schlecht verkaufte, verlagerte dieser seinen Fokus auf die lukrativere luftfahrttechnische Seite des Unternehmens. Die Motorradproduktion wurde eingestellt.
Neuausrichtung der Marke MV Agusta
Obwohl das Unternehmen einen großen Schuldenberg nach sich zog, eilte MV Agusta sein legendärer Ruf voraus und ließ die Castiglioni-Gruppe im Jahre 1992 den Markennamen kaufen. Mit der Entwicklung eines neuen 750-ccm-Reihenvierzylinder-Motors wurde 1997 das erste Motorrad der neuen Ära vorgestellt. Die ‘MV Agusta F4’ in den Agusta-Traditionsfarben Rot und Silber als erstes Superbike. Die Maschine wurde zu einem Verkaufsschlager und Castiglioni begann mit einer Vielzahl von internen Umstrukturierungen, die auch auf die moderne Gestaltung von MV-Motorrädern Einfluss hatten. Stilbildende Elemente wie der Gitterrohrrahmen, die Einarmschwinge, die radial angeordneten Ventile der Reihenvierzylinder-Motoren und die sich rückwärts drehende Kurbelwelle des Motors stellen heute besondere charakteristische Merkmale dar.
Und wenn sie nicht gestorben sind …
2003 folgte mit der ‘Brutale 750-1090’ das erste ‘nackte’ Bike. Knapp zehn Jahre später wurde das neue Dreizylinder-Sportmodell der F3-Serie mit gegenläufiger Welle und technischen Innovationen vorgestellt. Zwischen Weiterentwicklung und stetiger Verbesserung kooperierte MV Agusta mit der Mercedes AMG, gewann die Anteile aber wieder für sich und verkaufte an den russischen Investor ComStar. Die Modellreihen werden stetig ausgeweitet. Auch im Rennsport ist MV Agusta wieder aktiv. Den Höhepunkt dieser außergewöhnlichen Geschichte einer Marke, die sich wie ein Phönix aus der Asche erhoben hat, bildet die ‘F4 Claudio’. 2018 der Öffentlichkeit präsentiert, ist sie heute wie damals das ‘’schönste Motorrad der Welt“.
Bildquellen
- MV Agusta 98: https://www.youtube.com/watch?v=cXUVhpwKizs
- 1976 MV Agusta 125 Sport: https://www.youtube.com/watch?v=1ikA62Cyko4
- MV Agusta 750S America: https://www.youtube.com/watch?v=iChzInHAATE
- MV Agusta Motorradgeschichte: pixabay.com